Nachhaltige Anlagen - Interview Thomas Kessler

Ist nachhaltiges Investieren (gem. ESG Kriterien) nur ein «Hype» oder macht es tatsächlich einen Unterschied?

Das Thema nachhaltiges Investieren hat im Rahmen der Debatte über den Klimawandel einen enormen Schub erfahren und ist dauerhaft in der Berichterstattung aufgetaucht. In Tat und Wahrheit gibt es nachhaltiges Investieren bereits seit über 20 Jahren– auch bei Raiffeisen. Die Nachfrage der Anleger zeigt seit Anbeginn nur nach oben. Ökologische und soziale Themen haben eine hohe Präsenz in den Medien, das Angebot von Banken und Vermögensverwaltern in diesem Bereich steigt stetig. Zusammen mit dem politischen Willen, Nachhaltigkeit auch über den Finanzmarkt zu fördern, sowie der schlichten Alternativlosigkeit einer gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hin zu Nachhaltigkeit zeigt deutlich, dass es sich beim nachhaltigen Investieren nicht um einen kurzfristigen Trend handelt, sondern es zum neuen Standard wird.

 

Warum / wann sollte ich als privater Investor nachhaltige Anlagen tätigen?

Globale Erwärmung, Umweltverschmutzung oder soziale Ungerechtigkeit, um nur einige Beispiele zu nennen, sind Probleme, die uns alle auf die eine oder andere Art betreffen. Aus externen Effekten wie der Emission von CO2 werden bald finanzielle Risiken – und aus diesen wiederum Kosten für Unternehmen. Es ist daher im Interesse aller langfristig orientierten Investoren sich möglichst frühzeitig mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Glücklicherweise gibt es inzwischen auch für Kleinanleger ein breites Angebot an Anlagelösungen, sodass im Einklang mit den individuellen Zielsetzungen investiert werden kann.

 

Nachhaltige Investitionen sollen offenbar keine schlechteren Renditeaussichten haben. Sehen Sie das ebenfalls so? Warum sollte ich dann überhaupt noch nicht-nachhaltige Investitionen tätigen? Oder haben nachhaltige Investitionen auch Nachteile gegenüber traditionellen Anlagethemen?

Inzwischen zeigen über 2‘000 finanzwissenschaftliche Studien, dass nachhaltige Investitionen den nicht nachhaltigen mit gleichen oder teilweise sogar besseren Renditen in nichts nachstehen. Die Anwendung von ESG-Kriterien hilft, die Profitabilität von Geschäftsmodellen und -prozessen zu hinterfragen. Ein Unternehmen, das auf die Fragen der Zukunft heute noch keine überzeugende Antwort zu bieten hat, dürfte für einen langfristig denkenden Anleger kaum interessant sein. Im Gegenteil: Es könnte sich als risikoreiches Investment ohne Mehrertrag erweisen.

 

Gibt es gängige Missverständnisse zu diesem Thema?

Schlechtere Renditeaussichten sind ein gängiger Mythos. Darüber hinaus entsteht durch Missverständnisse gelegentlich der Vorwurf des Greenwashings. In der Wahrnehmung der Anleger entsteht dadurch der Eindruck, dass ein als nachhaltig deklariertes Anlageprodukt die damit verbundenen Erwartungen nicht erfüllt. In den meisten Fällen liegt das daran, dass Anlegerinnen und Anlegern die Möglichkeiten und Grenzen der verschiedenen Ansätze, die es beim nachhaltigen Anlegen gibt, nicht klar aufgezeigt wurden. Wer zum Beispiel einen positiven ökologischen Effekt erzielen möchte, wird das nicht durch den einfachen Ausschluss von Öl- und Gasunternehmen erreichen. Hierfür gibt es andere, erfolgversprechendere Strategien wie zum Beispiel Impact Investing. Hier wird bewusst in positive Auswirkungen investiert.

 

Wem nützt es, wenn ich nachhaltige Investitionen tätige?

Das hängt wesentlich von der gewählten Nachhaltigkeitsstrategie ab. Manche versuchen vor allem, das Risiko-Rendite-Verhältnis durch die Anwendung von ESG-Kriterien zu optimieren. Andere hingegen versuchen neben einer finanziellen Rendite auch gezielt ökologische oder soziale Ziele zu erreichen. Beispiele für Ersteres sind Anlageprodukte mit einem Best-in-Class-Ansatz oder einem sogenannten integrierten Ansatz. Beispiele für Letzteres wären Mikrofinanzfonds oder Green Bonds. Unter dem Strich sollten nachhaltige Investments aber immer auch dem Anleger selbst nützen: Zum einen, weil er entsprechend seinen Werten anlegt. Zum anderen, weil er damit auch langfristig Geld verdienen kann.

 

Wie beurteilen Sie die Chance, dass sich die Schweiz als führender und zukunftsorientierter Markt bei diesen Produkten positionieren kann? Wäre das erstrebenswert? Was bräuchte es dazu? (auch politisch)

Die Schweiz hat eine lange Historie in diesem Segment. Bereits Ende der 1990er-Jahre kamen einige Pioniere des nachhaltigen Anlegens aus der Schweiz und haben das Thema vorangetrieben. Mit dieser Erfahrung sollte es durchaus möglich sein, die Schweiz wieder als Vorreiter zu positionieren. Der Wille in der Branche für eine Transformation hin zu einem nachhaltigen Finanzsystem ist vorhanden. Raiffeisen begrüsst die Ziele des Bundesrates, attraktive Rahmenbedingungen für den Schweizer Finanzplatz zu schaffen, damit die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes weiter verbessert wird und gleichzeitig der Finanzsektor einen effektiven Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten kann.

 

Gibt es sonst noch etwas, das zu erwähnen wäre?

Gerade mit den aktuellen Bestrebungen nach einer gewissen Kategorisierung eröffnen sich für Anlegerinnen und Anleger Möglichkeiten, aus der aktuellen Vielfalt der Angebote diejenigen Produkte auszuwählen, die sowohl ihrem Verständnis von Nachhaltigkeit als auch ihren finanziellen Bedürfnissen am besten entsprechen.

 

Thomas Kessler

Leiter Geschäftsstelle Raiffeisenbank Wiesendangen